?sterreichisches Lemberg – Hauptstadt des Kronlandes Galizien
Beitrag von Elischa Rietzler
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Historischer ?berblick
Als 1772 Truppen des Habsburgerreiches durch eine ?friedliche“ Belagerung die Stadt Lemberg eroberten, etablierte dies einen neuen Herrschaftsabschnitt der Stadt. Im Zuge der ersten Teilung Polens sah sich die ?sterreichische Regierung legitimiert, diesen Schritt durchzuführen. Historisch wurde dies mit der Rückbesinnung auf die ehemaligen Gebiete ?Galizien“ und ?Lodomerien“ begründet, was sich aus dem (obsoleten) Anspruch der ehemaligen Stephanskrone auf diese Territorien ableiten sollte. Die Namen wurden für die neu hinzugewonnenen Landstriche übernommen und so wurde Lemberg sp?ter Haupt- und Residenzstadt des ?sterreichischen Kronlandes ?K?nigreich Galizien und Lodomerien“. Somit kam es zu einer schrittweisen Begrenzung der bis dahin gewonnenen Autonomie Lembergs sowie die Etablierung der Habsburger Herrschaftspraxis und des damit verbundenen Verwaltungsapparates. Gerade die Bürgerrepr?sentation auf kommunaler Ebene, wie zum Beispiel durch Stadtparlament und Bürgerausschuss, ging faktisch vollst?ndig verloren.
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Die Infrastruktur, welche die ?sterreichische Besatzungsmacht vorfand, kann durchaus als dringend sanierungsbedürftig beschrieben werden. Gro?e Teile der zentralen st?dtischen Geb?ude waren entweder zerst?rt oder in einem desolaten Zustand. Ein ?hnliches Bild zeichnete sich auch auf wirtschaftlicher Ebene ab. Durch Eingriffe des polnischen Adels – in der Zeit der polnischen Herrschaft über Lemberg – und h?ufige Plünderungen der Stadt ging sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Bedeutung Lembergs zurück. Die negative Stadtentwicklung führte auch zu einem Rückgang der Bev?lkerungszahl auf circa 20.000 Einwohner am Ende des 18. Jahrhunderts.
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Unter der neuen Habsburger Administration fanden schnell Ver?nderungen statt. Die elementare Infrastruktur wurde erneuert und es fand eine schrittweise Anpassung an das restliche Habsburgerreich statt. Da Galizien sowohl als Wohnort als auch mit Ausblick auf Karrierefortschritte bei den Habsburger Beamten nicht au?erordentlich beliebt war, wurden die freien Stellen vor allem durch, im Vergleich, wenig qualifizierte und auch in zwischenmenschlicher Hinsicht fragwürdige Beamten besetzt. Dies begründete den schlechten Ruf der Administration in Lemberg bei der Bev?lkerung.
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Trotz dieser Probleme brachte die ?Beamtenschaar“ Handwerker und Kaufleute mit sich. Dies trug neben der napoleonischen Kontinentalblockade, die Lemberg zu einer wichtigen Handelsachse machte, zu einem Aufschwung Lembergs zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei. In diesem Umstand begründet wuchs die Bev?lkerung rasant auf 68.321 Einwohner im Jahr 1819 an. Diese vordergründige Entwicklung darf jedoch nicht als Indiz für eine positive Ver?nderung aller Bev?lkerungsschichten betrachtet werden. Gerade die ?rmeren Stadtbewohner und insbesondere die jüdische Bev?lkerungsgruppe hatte nach wie vor mit gro?en Einschr?nkungen zu k?mpfen.
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Die Bev?lkerungsverteilung im Jahre 1825 war durch eine 55-prozentige polnische Mehrheit gepr?gt. Die zweitgr??te Bev?lkerungsgruppe war jüdisch, gefolgt von der ukrainischen Stadtbev?lkerung. Trotz dieser Verteilung war Deutsch als Amtssprache und Alltagssprache von der Habsburger Obrigkeit gewünscht und vorgesehen und dies wurde sowohl an Schulen als auch Universit?ten umgesetzt. Nachdem jedoch im Jahr 1830 die Auswirkungen des Novemberaufstandes – trotz ausbleibender ?bergriffe in Lemberg – auch in der Stadt zu spüren waren, ?nderte sich der Kurs der Habsburger Regierung. Aus Angst vor weiteren Aufst?nden billigte man mehrere ?polenfreundliche“ ?nderungen. So wurden beispielsweise 1826 zwei polnische Lehrstühle begründet, sowie die Volksbibliothek zum polnischen Nationalinstitut erweitert.
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In Folge der Ereignisse der M?rzrevolution 1848 gab es auch in Lemberg zum Teil bewaffnete Konflikte, die insgesamt 55 Zivilisten das Leben kosteten. Trotz der Niederschlagung des Aufstandes kam es im weiteren Verlauf zu grunds?tzlichen ?nderungen in Lemberg und auch in ganz Galizien. Vor allem die polnische Bev?lkerung wusste, die Umw?lzungen zu ihren Gunsten zu nutzen und so war die politische Vertretung schnell polnisch dominiert, was sich auch an polnischen Gouverneuren wie Agenor Goluchowski zeigte. Die ukrainische Bev?lkerung wurde im Jahr 1848 vom sogenannten Robot, einem Zwangsdienst für die Herrschaftselite, freigestellt. Dadurch entwickelte sich rasch ein neues Nationalbewusstsein, welches, best?rkt durch aufkl?rerisches und romantisches Gedankengut, sp?ter zu weitreichenden Konflikten mit der polnischen Bev?lkerung führen sollte. Getragen wurde dieses neue Selbstbewusstsein der ukrainischen Bev?lkerung durch kulturelle und soziale Instanzen, wie beispielsweise ukrainische Zeitungen und die Gründung ukrainischer Vereinigungen oder die Werke ukrainischer Schriftsteller. Auf politischer Ebene bündelten sich diese Kr?fte in den 1890er Jahren durch die Bildung von ukrainischen Parteien. Die sich daraus ergebenden Konflikte mit der polnischen Bev?lkerung entluden sich in Lemberg, als zum Beispiel der Streit um eine ukrainische Universit?t eskalierte und es zu Gewaltausschreitungen kam.
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Der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 ?nderte nichts am grundlegenden Konflikt zwischen Polen und Ukrainern. Die ukrainische Seite betonte ihre Verbundenheit mit den Habsburgern und erhoffte sich so, im Falle eines Sieges der ?sterreicher, mit einem eigenen Territorium belohnt zu werden. Zuerst wurde Lemberg aber am 3. September 1914 von russischen Truppen besetzt, die das Konstrukt?Galizien?als hinf?llig ansahen und Lemberg zum Teil des Zarenreiches erkl?rten, bevor 1915 die Stadt von ?sterreichischen Truppen zurückerobert wurde. Da sich jedoch eine polnische Unabh?ngigkeit anbahnte und auch die Ukrainer keinesfalls gewillt waren, ihre Ansprüche an Lemberg fallen zu lassen, ergab sich aus der Niederlage von ?sterreich-Ungarn und der darauffolgenden Entlassung der Kronl?nder in die Unabh?ngigkeit erneut Konfliktpotential. Ukrainische Streitkr?fte besetzten Lemberg am 1. November 1918, was eine Gegenaktion der polnischen Bev?lkerung hervorrief, die durch Mobilisierung aller verfügbarer Polen die Besetzung beenden konnte. Die auch zum Einsatz gebrachten Kinder und Jugendliche gingen als ?Dzieci Lwowskie“ (die Kinder von Lwów) in die polnische Erinnerungskultur ein. Da jedoch starke ukrainische Truppenverb?nde nach wie vor in Galizien stationiert waren, konnte erst eine finale Offensive der polnischen Truppen im Zusammenhang mit der Legitimierung der Angriffe durch das Pariser Friedensabkommen 1919 die Entscheidung für Polen bringen. Im Anschluss wurde die ehemalige ?sterreichisch-russische Grenze als neue Ostbeschr?nkung des polnischen Territoriums bestimmt. Ein Ende der Kriegshandlungen in Galizien und Lemberg war jedoch erst absehbar, als der 1920 geführte polnisch-russische Krieg von polnischer Seite gewonnen wurde, und sich Lemberg als Stadt unter polnischer Herrschaft der Konsolidierung nach dem Krieg zuwenden konnte. In der heutigen Erinnerungskultur des ukrainischen Lvivs wird die Zeit der Habsburger Herrschaft, trotz der gro?en Kontroversen und der stattgefundenen Unterdrückung, zum Gro?teil als durchaus positiv betrachtet. Die Gründe hierfür sind auf verschiedenen Ebenen zu suchen. Sicherlich l?sst der Eindruck einer geordneten Verwaltung w?hrend der k. und k. Monarchie, im Vergleich mit den heutigen, eher turbulenten politischen Umst?nden in der Ukraine, eine subjektiv positive Retrospektive zu. Au?erdem ergibt sich auch aus der ?sterreichischen Architektur, die auch heute noch die Innenst?dte von Lviv und anderen ukrainischen St?dten pr?gt, ein weiterer Punkt, der zur unkritischen Wiedergabe der Zeit von 1772-1918 verleitet.
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Architektonischer ?berblick
Die Architektur in Lemberg unter habsburgischer Herrschaft ist bedingt durch die ?sterreichische beziehungsweise deutschsprachige Herrschaftselite natürlich stark an das Habsburger Vorbild angelehnt. Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit eine reine ?Kopie“, beispielsweise des Wiener Baustils, vorgenommen wurde, oder ob sich eine Vermengung mit lokalen Stilrichtungen, oder gar die Bildung eines eigenst?ndigen Lemberger Baustils erfolgte.
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Betrachtet man den Beginn der baulichen Entwicklung in Lemberg unter Habsburger Herrschaft, so erfolgte diese vor allem unter staatlicher Tr?gerschafft und wurde dementsprechend in ?Wiener-Art“ im Stile des Neoklassizismus beziehungsweise sp?ter des Biedermeiers ausgeführt. Dies hatte auch den Grund, dass zu Beginn der Herrschaftszeit der Habsburger neue Verwaltungsgeb?ude sowie allgemein ?ffentliche Geb?ude entstehen mussten. Auch das Stadtbild und insbesondere die Gestaltung der Stra?enfassaden wurde stark vom Wiener Vorbild gepr?gt, inklusive der Kaffeeh?user, die wohl als symptomatisch für diesen Trend zu nennen sind. Das heutige Rathaus wurde in deutlicher Anlehnung an den Habsburger Baustil umgesetzt; die Planung und die Umsetzung erfolgten jedoch ausschlie?lich in Lemberg und stellten so erste Anzeichen einer künstlerischen Autonomie dar.
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Die langsam einsetzende Industrialisierung und wirtschaftliche Fortentwicklung ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Lemberg verst?rkten diese Entwicklung weiter und führten dazu, dass viele Bauprojekte nun von privater Hand finanziert wurden und dementsprechend noch klarer ein autarker Stil zur Geltung kam. Die Oper, welche am 4. Oktober 1900 er?ffnet wurde, zeigt gut, wie sich der Stil nach ?sterreichischem Vorbild mit dem der lokalen Architekten vermischte. So kennzeichnen die Oper starke Anlehnungen an Barock beziehungsweise Renaissance, jedoch erinnert das Gesamtbild an die Wiener Hofoper.
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Insgesamt betrachtet, zeigt sich das Stattbild Lembergs auf den ersten Blick stark nach Habsburger Vorbild. Allerdings konnten, durch die polnische Autonomiebewegung best?rkt, immer deutlichere eigene Akzente gesetzt werden und somit sind viele Prachtbauten in Lviv auch heute noch Zeuge dieser Diskrepanz.
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Literatur
- Glassl, H.: Das ?sterreichische Einrichtungswerk in Galizien (1772-1790), Wiesbaden 1975.
- Lane, H.: The Ukrainian Theater and the Polish opera. Cultural Hegemony and the National Culture, in: Lviv. A city in the crosscurrents of culture, hg. v. J. Czaplicka, Cambridge 2005, S. 149-170.
- Mark, R.: Polnische Bastion und ukrainisches Piemont. Lemberg 1772-1921, in: Lemberg-Lwów-Lviv. Eine Stadt im Schnittpunkt europ?ischer kulturen, hg. v. P. F??ler / T. Held / D. Sawitzki, K?ln 1993, S. 46-91.
- Pók, A.: Neue Staatsstruktur des Habsburgerreiches. Neues Verwaltungssystem nach dem Ausgleich in Ungarn, in: Gesellschaft, Poltik und Verwaltung in der Habsburgermonarchie 1830-1918, hg. v. F. Glatz / R. Melville, Stuttgart 1987, S. 189-202.
- Prokopovych, M.: Habsburg Lemberg, Architecture, Public Space, and Politics in the Galician Capital, 1772-1914, West Lafayette 2009.
- Purchila, J.: Patterns of Influence. Lviv and Vienna in the Mirror of Architecture, in: Lviv. A city in the crosscurrents of culture, hg. v. J. Czaplicka, Cambridge 2005, S. 131-148.
- Szlanta, P.: Der lange Abschied der Polen von ?sterreich, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918 (Band XI/2), hg. v. H. Rumpler, Wien 2016, S. 813-851.